Quantenzigarren in rätselhaftem Gleichtakt

01.09.2018

Wissenschaftler haben zwei besonders geformte, ultrakalte Atomwolken quantenmechanisch gekoppelt. Dabei glichen sich die Eigenschaften beider Objekte viel stärker aneinander an als die etablierten Modelle erlauben.

Nur wenn man es mit wenigen Teilchen zu tun hat, lassen sich die Gleichungen der Quantenmechanik überhaupt exakt lösen – und selbst das ist aufwändig. Quantensysteme aus hunderten oder tausenden Atomen sind auch mit den besten Computern nicht vollständig berechenbar. Physiker müssen die Wissenslücken bei den grundlegenden Gesetzen der Vielteilchen-Quantenphysik deswegen mit Experimenten schließen.

Werden dünne Wolken aus tausenden Atomen auf extrem niedrige Temperaturen abgekühlt und gleichzeitig in einem engen Bereich festgehalten, findet ein spezieller Phasenübergang statt: Die Atome verlieren ihre Individualität und verhalten sich als ein einziges Quantenobjekt – ein so genanntes Bose-Einstein-Kondensat entsteht. Die Wolken sind im Labor hervorragend kontrollierbar, etwa mit Hilfe elektromagnetischer Felder. Außerdem lassen sich kalte Atome gut von ihrer Umgebung trennen, eine unverzichtbare Voraussetzung, um Quanteneffekte zu beobachten.

Am Atominstitut der Technischen Universität Wien haben wir an einem solchen System einen überraschenden Effekt entdeckt, der sich mit den bisher bekannten Regeln der Quantenmechanik nicht ausreichend erklären lässt. Dazu haben wir Rubidiumatome in einer Kammer mit Ultrahochvakuum auf eine Temperatur von wenigen Nanokelvin gebracht und in einem Magnetfeld gefangen gehalten. Normalerweise versucht man bei einem Bose-Einstein-Kondensat, die Atome auf einen winzigen Punkt zu konzentrieren. Dank eines Atomchip genannten Geräts in den Wiener Labors, das hochpräzise elektromagnetische Felder erzeugen kann, sind allerdings auch geometrisch kompliziertere Konfigurationen möglich. In Kombination mit externen Magnetspulen zwangen wir die ultrakalten Atomwolken in eine besondere dreidimensionale Form. Wir begrenzten den Raum, in dem sich die Atome aufhalten konnten, eng in einer Richtung, ließen ihn hingegen in einer anderen viel weiter ausgedehnt. So entstand eine Art Zigarre, die etwa tausendmal länger war als breit.

Die Atome können in so einem Zustand nur bestimmte, diskrete Energien annehmen. Welche das sind, hängt nach den Gesetzen der Quantenphysik vom verfügbaren Raum ab: Je schmaler der Aufenthaltsbereich, umso größer wird der Abstand zwischen den quantenphysikalisch erlaubten Werten. Wenn die Temperatur der Atomwolke dabei sehr niedrig ist, verfügt jedes Teilchen nur über wenig Energie. Dann kann man durch Einsperren der Atome auf engem Raum erreichen, dass sie bloß den geringstmöglichen Wert annehmen – bereits der nächsthöhere Energiezustand ist unerreichbar. In diesem Fall haben alle Atome denselben Quantenzustand, und ein Bose-Einstein-Kondensat entsteht.

Was aber passiert mit der zigarrenförmigen Atomwolke? Ihre Bewegungsenergie setzt sich aus zwei mathematisch separierbaren Komponenten zusammen: In Längsrichtung der Zigarre haben die Atome relativ viel Platz. Dort kann die Bewegungsenergie viele, nah beieinanderliegende Werte annehmen. Senkrecht dazu sind die Atome allerdings stark beschränkt. Bei der richtigen Temperatur entsteht ein »Quasi-Kondensat«, bei dem sich die Atome in der engen Richtung wie ein Bose-Einstein-Kondensat verhalten, während sie in der anderen unterschiedliche Quantenzustände annehmen können.

Die passenden elektromagnetischen Felder ermöglichen sogar zwei zigarrenförmige Atomwolken nebeneinander. Wenn der Abstand zwischen beiden sehr klein ist, dann können einzelne Atome von einer Wolke zur anderen wechseln. Zwar erlauben es die Gesetze der klassischen Physik nicht, die Barriere des elektromagnetischen Felds zu überwinden. Doch weil die Energie eines Quantenteilchens eine gewisse Unschärfe haben kann, bewegt es sich mit Hilfe des so genannten Tunneleffekts gelegentlich zumindest für sehr kurze Zeiträume durch herkömmlich verbotene Bereiche hindurch.

Solche hin und her wechselnden Atome koppeln beide Wolken quantenphysikalisch miteinander. Das hat Auswirkungen auf die »Phase« der Atomwolken, eine entscheidende Eigenschaft eines Bose-Einstein-Kondensats. Die Phase kommt einzig durch die Welleneigenschaften der Materie zu Stande, in der klassischen Physik gibt es dafür keine Entsprechung. So wie eine akustische Welle eine Abfolge von Wellenbergen und -tälern ist, hat auch ein Bose-Einstein-Kondensat (oder das zigarrenförmige Quasi-Kondensat) Welleneigenschaften und zu jedem Zeitpunkt einen bestimmten Wert zwischen Berg und Tal.

Die Phasen der Atomwolken selbst sind prinzipiell nicht messbar. Allerdings lässt sich die Phasendifferenz zwischen beiden untersuchen: Schwingen die Quasi-Kondensate im gleichen Takt oder leicht versetzt zueinander? Das lässt sich herausfinden, indem man die elektromagnetische Barriere entfernt. Dann vereinen sich die Atomwolken und interagieren. Es kommt zu einer beobachtbaren Interferenz, ähnlich wie bei dem bekannten Doppelspalt-Experiment.

Man kann gezielt eine bestimmte Phasendifferenz zwischen den beiden Atomwolken erzeugen und dann beobachten, wie sie sich im Lauf der Zeit verändert. Ein Vergleich aus der klassischen Welt ist die Vorstellung zweier Pendeluhren, die gleich schnell, aber zueinander leicht versetzt ticken. Die Kopplung der beiden Atomwolken durch das Hin- und Herwechseln von Atomen entspräche dann einem Gummiband zwischen den Pendeln. Durch dieses sollten die Uhren sich synchronisieren – ihre Phasen angleichen – und nach einiger Zeit wieder desynchronisieren. Wenn die Energie im System perfekt erhalten bleibt, sollten sich Synchronisierung und Desynchronisierung theoretisch endlos abwechseln.

Bei den Atomwolken haben wir erstaunlicherweise etwas ganz anderes beobachtet: Die Phasen der beiden Atomwolken glichen sich extrem rasch aneinander an und blieben synchronisiert. Das ist genau das, was man in einem dissipativen System erwarten würde, aus dem Energie verlorengeht. Bei den Pendeluhren kann das etwa durch ein nicht perfekt elastisches Gummiband geschehen, das bei jedem Dehnen ein bisschen Energie in Wärme umwandelt. Doch bei den Atomwolken ist aus theoretischer Sicht völlig unklar, welcher Mechanismus dahinter steckt.

Das Experiment ist von der Umwelt sehr gut isoliert, und trotzdem deuten die Messergebnisse auf einen Verlust von Energie hin. Da diese nicht einfach verschwinden kann, muss sie auf irgendwelche anderen Parameter des Systems übertragen werden. Denkbar wäre etwa, dass sich die Bewegungsenergie in Zigarren-Längsrichtung ändert, weil die verschiedenen Ebenen miteinander gekoppelt sind. Doch nach allen derzeit bestehenden Theorien dürfte kein Kopplungsmechanismus stark genug sein, um diesen extrem starken und schnellen Dämpfungseffekt zu erklären. Sind also die entsprechenden Theorien unvollständig?

Bisher gab es wenig Grund, um an den grundlegenden Formalismen der quantenmechanischen Wechselwirkungen zu zweifeln. Dazu gehört etwa das so genannte Sine-Gordon-Modell, mit dem man eindimensionale Bose-Einstein-Kondensate berechnen kann. Es wurde in Experimenten bisher mit großem Erfolg bestätigt. Niemand hatte erwartet, dass die beiden Atomwolken mit ihrer Desynchronisierung die Vorhersagen so eklatant verletzen würden.

Mit der Erkenntnis, dass die Kopplung durch den Tunneleffekt überraschend starke Auswirkungen hat, hofft unser Team, weitere Forschungen anzustoßen, um das mathematische Verständnis solcher interatomaren Wechselwirkungen zu verbessern. Schließlich gehört das genaue Verhalten von Vielteilchen-Quantensystemen zu den großen ungelösten Problemen der modernen Physik. Es ist eng mit vielen grundlegenden Rätseln verwoben – vom Zustand des frühen Universums kurz nach dem Urknall bis hin zur Frage, warum die merkwürdigen Effekte der Quantenphysik nur auf winzigen Längenskalen beobachtet werden können, während größere Objekte den Gesetzen der klassischen Physik gehorchen.

 

Marine Pigneur promoviert in Quantenoptik am Atominstitut der TU Wien.

 

Quelle

Pigneur, M. et al.: Relaxation to a Phase-Locked Equilibrium State in a One-Dimensional Bosonic Josephson Junction. In: Physical Review Letters 120, 173601, 2018

 

Bild: evtl. Illustration + Atomchip

www.tuwien.ac.at/fileadmin/t/tuwien/fotos/pa/2018/Schm_Pign_double_layer_chip_photo3.jpg

(Bildrechte TU Wien via: www.tuwien.ac.at/dle/pr/aktuelles/downloads/2018/atomwolke)